Emmi Pikler wurde 1902 als Emilie Madeleine Reich in Wien geboren, das damals zusammen mit Budapest eine der beiden Hauptstädte des Vielvölkerstaates ÖsterreichUngarn war. Die Familie war eine Handwerkerfamilie ungarischer Herkunft und jüdischen Glaubens. 1908 zog sie nach Budapest um. Mit gerade einmal 12 Jahren verlor Pikler ihre Mutter. Im November 1918 zerfiel die Donaumonarchie und Pikler erwarb 1920 im Nachfolgestaat Ungarn die Matura. Daraufhin begann sie ein Medizinstudium in Wien, wobei sich ihr Interesse schon früh auf die Kindesentwicklung während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren richtete. Nach dem Erwerb des Doktorgrades liess Emmi Pikler sich zwischen 1927 und 1930 von den renommierten Universitätsprofessoren Clemens von Pirquet und Hans Salzer zur Pädiaterin und Kinderchirurgin ausbilden. Ihren Mann, den ungarischen Mathematiker György Pikler, lernte sie ebenfalls 1930 kennen.
Über zehn Jahre lang praktizierte Pikler zuerst in Triest und später in Budapest als Kinderärztin in ihrer Privatpraxis. Ungewöhnlich war, dass die Praxis Bestandteil des Wohnhauses war. Besonderen Wert legte Emmi Pikler auf vorbeugende Massnahmen: Bei Hausbesuchen beobachtete sie stets, in welchem Umfeld die Säuglinge und Kleinkinder aufwuchsen. Bei Bedarf beriet sie die Eltern bezüglich Ernährung, Tagesplanung und Wohnsituation, sodass die Eltern sich ungestört ihrem Kind widmen konnten. Im Mittelpunkt von Piklers Methoden standen immer die selbstständige Aktivität und die gesunde Entwicklung der Kinder ohne willkürliche elterliche Eingriffe.
1940, als in Europa bereits wieder Krieg herrschte, erschien Emmi Piklers erstes Buch, das nicht nur in Ungarn, sondern auch im Ausland ein grosser Erfolg wurde. Doch als Ungarn auf Seiten der Achsenmächte in den Krieg eintrat, wurde ihre jüdische Herkunft zunehmend zu einem Problem für Pikler. Im März 1944 wurde Ungarn von den deutschen Streitkräften besetzt und im Frühjahr begann die Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager. Im Herbst des gleichen Jahres installierten die Nationalsozialisten das „Pfeilkreuzler“-Regime in Ungarn – eine loyale Marionettenregierung unter der die Deportation weiterlief. Diesen faschistischen Terror überlebte Pikler nur dank der Hilfe von Eltern, deren Kinder sie behandelt hatte.
Nach Kriegsende eröffnete sie ihre Praxis nicht wieder, sondern gründete 1946 das Säuglingsheim „Lóczy“. Pikler legte allergrössten Wert darauf, dass die dort untergebrachten Kinder nicht am sogenannten Hospitalismus zu leiden begannen, der bei Heimkindern als unausweichlich galt. Hospitalismus entsteht durch Entzug zwischenmenschlicher Interaktion und äussert sich durch Symptome wie Depressionen, Angstzustände, Entwicklungsverzögerungen, Passivität, Aggressivität oder Kontaktstörungen. Während Kinder aus anderen Heimen oft ebendiese Symptome aufwiesen, zeigten Kinder aus dem Lóczy dank Piklers Methodik keinerlei Anzeichen von Hospitalismus, wie Untersuchungen der Weltgesundheits-Organisation WHO in den 1960er- und 1970er-Jahren zeigten. Pikler gab 1979, inzwischen eine angesehene Wissenschaftlerin und Mutter von vier Kindern, die Heimleitung an ihre Tochter Anna Tárdos ab.
Emmi Pikler starb 1984 nach kurzer Krankheit in Budapest.